Publikation –

6.1.2021

Abmahnmissbrauch – ein Problem der Vergangenheit?

Seit dem 02. Dezember 2020 ist das „Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“ in Kraft. Die vor allem unter dem Namen „Gesetz gegen Abmahnmissbrauch“ bekannte Gesetzesneuerung sieht Änderungen in neun Gesetzen vor. Insbesondere sind das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) betroffen.

Zweck des Gesetzes

Mit dem Gesetz werden laut Gesetzesentwurf mehrere Maßnahmen zur Stärkung des Wettbewerbs vorgenommen. Kern dessen ist die Bekämpfung missbräuchlicher Abmahnungen. Wichtige neue Regeln gibt es im Bereich der Abmahnkosten, der Rechtsverteidigung und der Vertragsstrafen.

Der Entwurf hat folgenden Hintergrund: In Deutschland wird der faire Wettbewerb durch private Akteure geregelt. Verstößt jemand gegen Marktvorschriften, dann kann ein Unternehmen das andere Unternehmen abmahnen oder sogar auf Unterlassung und Beseitigung verklagen. Abmahnungen sind Aufforderungen zur Abgabe einer strafbewährten Unterlassungserklärung. Das heißt: Es handelt sich um einfache Schreiben, in denen eine Person die andere auffordert, etwas nicht mehr zu tun, und bei Zuwiderhandeln eine Vertragsstrafe zu zahlen. Solche Erklärungen können außergerichtlich abgegeben werden und geben dem Abmahnenden einen Anspruch auf Ersatz der durch die Abmahnung entstandenen Kosten (Aufwendungsersatzanspruch/„Abmahngebühren“). Abmahnungen bieten also eine kostengünstige und effektive Möglichkeit zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen und können so zur Stärkung eines fairen (lauteren) Leistungswettbewerbs beitragen.

Allerdings stellten missbräuchliche Abmahnungen für viele – insbesondere kleinere – Unternehmen ein großes finanzielles Risiko dar. In der Praxis gab es viele Fälle, in denen Abmahnungen allein deshalb verschickt wurden, um einen möglichst hohen Aufwendungsersatzanspruch geltend zu machen. Der eigentliche Zweck des Lauterkeitsrechts, der Schutz der Marktteilnehmer und der Unverfälschtheit des Wettbewerbs (§ 1 UWG), wird hierdurch konterkariert, die wettbewerbsfremden Motive führen im Gegenteil zu mehr Behinderungswettbewerb und wirken sich innovationshemmend aus.

Ausgangssituation und bisherige Rechtslage

Der Abmahnende war bislang berechtigt, „Abmahngebühren“ zu verlangen, wenn die Abmahnung selbst berechtigt ist, wenn also ein Unterlassungsanspruch besteht. Das ist der Fall, wenn eine unlautere geschäftliche Handlung nach UWG vorliegt.

Materielle Rechtslage

Laut UWG sind aggressive, belästigende und irreführende geschäftliche Handlungen unlauter, aber auch Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen. Eine Marktverhaltensregelung kann dabei jede Rechtsnorm sein, die das Marktverhalten im Interesse der Marktbeteiligten regelt. Missbräuchlich Abmahnende haben daher häufig formelle Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen abgemahnt, die praktisch keinen Einfluss auf den Wettbewerb haben. In der Regel waren es Formalitäten, die aus weitgehend unbekannten Vorschriften herrühren und deren Kenntnis man von Laien nicht erwarten kann. Darüber hinaus kennen Laien auch regelmäßig nicht die neuesten Gesetzesänderungen, sodass das Internetangebot bei Inkrafttreten neuer Regelungen häufig nicht rechtzeitig angepasst wird.

Beispiele für missbräuchliche Abmahnungen dieser Art sind massenhafte Abmahnungen aufgrund fehlender SSL-Verschlüsselung, fehlender Datenschutzerklärung, fehlerhafter Widerrufsbelehrungen oder eines fehlenden anklickbaren OS-Links. Derartige Verstöße im Internet lassen sich sowohl schnell – teils gar automatisiert –  feststellen als auch mittels vorgefertigter Schreiben in großem Stil abmahnen. Der Anreiz für Abmahnende war dementsprechend hoch, da Aufwand, Risiko und Gewinn in einem günstigen Verhältnis standen. Zudem besteht bei Angeboten im Internet die Gefahr, dass rechtsbrüchige Unternehmer von vielen Anspruchsstellern gleichzeitig abgemahnt werden. Behauptete Ansprüche belaufen sich dabei je nach Streitwert und Anzahl der Verstöße auf dreistellige oder vierstellige Beträge.

Auch die weit gefasste Regelung zur Anspruchsberechtigung eröffnete Möglichkeiten für missbräuchliche Abmahnungen. Anspruchsberechtigt sind laut UWG Mitbewerber, Unternehmensverbände, Verbraucherverbände und Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern. Bislang stehen die Ansprüche aus dem UWG „jedem Mitbewerber“ zu. Außerdem mussten berechtigte Unternehmensverbände – anders als die Verbraucherverbände – in keiner Liste des Ministeriums notiert werden. Es gibt auch keine Pflicht zur Offenlegung einer Mitgliederliste.

Durchsetzung des Anspruchs

Bislang gab es zwar eine Möglichkeit, eine missbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen abzuwehren. Ein Missbrauch ist anzunehmen, wenn die Gewinnerzielung oder die Schadensverursachung im Vordergrund steht, wenn also wettbewerbsfremde Motive die Anspruchsgeltendmachung dominieren. Der Abgemahnte konnte bislang sogar – wenn die missbräuchliche Geltendmachung feststand – den Ersatz seiner Rechtsverteidigungskosten verlangen. Ausschlaggebend sind dabei die Umstände des Einzelfalls. Die Gerichte haben jedoch Fallgruppen entwickelt, die einen Missbrauch indizieren: Die „Abmahnretour“, also die Abstrafung eines zuvor Abmahnenden, oder die Sammlung mehrerer Geschädigter durch einen Anwalt mit Vielfachabmahnung. Häufig fällt es dem Abgemahnten aufgrund der bestehenden Informationsasymmetrie aber schwer, einen Missbrauch darzulegen. Bei Unklarheiten wurde tendenziell ein Missbrauch verneint.

Viele Laien zahlen zudem auf Abmahnschreiben hin ohne Vorbehalt, entsprechende Unterlassungserklärungen werden teils ohne rechtliche Beratung unterschrieben. Die Konsequenzen der Abgabe solcher Erklärungen sind vielen kleinen Unternehmern nicht bewusst. Die Folgen können verheerend sein und sogar im Einzelfall zur wirtschaftlichen Existenzvernichtung führen. Mit entsprechender Zuversicht sollte daher jeder Versuch des Gesetzgebers begrüßt werden, missbräuchlichen Abmahnungen entgegenzuwirken.

Neuerungen im Überblick

Mit dem nun in Kraft getretenen Gesetz gibt es vor allem Änderungen im Hinblick auf die Anspruchsberechtigung und -durchsetzung im UWG und im UKlaG. Die Voraussetzungen für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche bleiben ansonsten gleich. Die Änderungen anderer Gesetze sind vor allem Formalien und haben mit Abmahnmissbrauch wenig zu tun.

Wichtigste Neuerungen im Einzelnen

Die Regelung zur missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen bestand zwar schon vorher, wurde aber nun in einen eigenen Paragraphen ausgegliedert und mit Fallbeispielen ergänzt. Diese finden Sie hier im Überblick:

-         Abmahnung vieler Verstöße gegen dieselbe Rechtsvorschrift,

-         zu hohe Gebühren oder Vertragsstrafe,

-         zu umfangreiche Unterlassungsverpflichtung,

-         einzelnes Abmahnen mehrerer gemeinsam abmahnbarer Verstöße,

-         die Geltendmachung gegenüber mehreren Anspruchsgegnern einzeln.

Die meisten Fallbeispiele wurden von Gerichten schon als Rechtsmissbrauch eingeordnet. Nun muss aber laut Gesetz der Abmahnende beweisen, dass es sich nicht um einen Missbrauch handelt, wenn eines der Regelbeispiele erfüllt ist (Beweislastumkehr). Das wohl praktisch wichtigste Regelbeispiel stellt die Abmahnung vieler Verstöße gegen dieselbe Rechtsvorschrift dar. Solche massenhaften Abmahnungen sind missbräuchlich, wenn die Aktivität zur eigenen Geschäftstätigkeit außer Verhältnis steht oder wenn der Abmahnende das wirtschaftliche Risiko der Durchsetzung nicht vernünftigerweise selbst tragen würde. Entsprechende Regelbeispiele finden sich auch im UKlaG.

Außerdem ist nun die Anspruchsberechtigung von Unternehmensverbänden auf solche beschränkt, die in einer Liste des Bundesamts für Justiz explizit aufgeführt werden. Das macht es Betroffenen leichter, zu überprüfen, ob ein Unternehmensverband überhaupt anspruchsberechtigt ist. Mitbewerber sind auch nur noch dann anspruchsberechtigt, wenn sie nicht in unerheblichem Maße geschäftstätig sind. Diese Änderungen treten erst am 01. Dezember 2021 in Kraft.

Abmahnungen, Vertragsstrafen und Klagen

Die Abmahnung hat nun einen eigenen Paragraphen erhalten. Neu ist insbesondere, dass eine Abmahnung klare und verständliche Informationen zu dem Abmahnenden, der rechtlichen Begründung, der Zusammensetzung des Anspruchs sowie der Rechtsverletzung preisgeben muss. Nur wenn diese Voraussetzungen eingehalten werden, hat der Abmahnende auch einen Anspruch auf „Abmahngebühren“.

Besonders wichtig ist bei den Neuerungen Folgendes: Für Datenschutzverstöße und online begangene Informations- und Kennzeichnungspflichten kann keine Abmahngebühr mehr verlangt werden. Ist die Abmahnung daher unberechtigt oder fehlen die notwendigen Angaben zur Abmahnung, kann der Abgemahnte seine Anwalts- und Gerichtskosten ersetzt verlangen.

In einer neuen Norm werden nun auch genaue Bestimmungen für Vertragsstrafen festgelegt. Die wahrscheinlich bedeutendste Neuerung ist dabei, dass eine Vertragsstrafe in bestimmten Fällen nur dann vereinbart werden darf, wenn der Abgemahnte nicht weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt. Unter gewissen Voraussetzungen ist die Höhe der Vertragsstrafe auch auf 1000 Euro gedeckelt.

Zudem wurde nun auch der„ fliegende Gerichtsstand“ bei Online-Verstößen abgeschafft. Kläger können bei solchen Verstößen nur noch das Gericht am Sitz des Rechtsverletzers anrufen. Sie können also nicht mehr auf das Gericht zurückgreifen, das für sie am günstigsten entscheidet. Bei allen übrigen Verstößen dürfen nur noch Mitbewerber den „fliegenden Gerichtsstand“ nutzen.

Fazit und offene Fragen

Die massivsten Probleme wurden mit der Novelle vermutlich behoben. Massenabmahnungen zur Gewinnerzielung wegen Datenschutz- und Informationspflichtverstößen wird es so wohl nicht mehr geben. Im Urheberrecht gab es aber keine entsprechenden Änderungen, außerdem gibt es immer wieder schwarze Schafe, die ganz bewusst rechtswidrig abmahnen. Und auch die Neuregelungen lassen weiterhin Fragen offen. Zum Beispiel ist nicht klar, welche Anforderungen an die Informationspflichten bei Abmahnungen zu stellen sind. Problematisch ist auch weiterhin die Frage der Beweislast: Wie soll ein Anspruchsgegner erfahren oder gar nachweisen, dass der Anspruchssteller auch andere Mitbewerber nach derselben Rechtsvorschrift abmahnt? Wie soll er nachweisen, dass die Abmahntätigkeit des Abmahnenden außer Verhältnis zu dessen Geschäftstätigkeit steht?

Für Antworten auf diese und weitere Fragen rund um das Thema des Wettbewerbsrechts stehen wir Ihnen gerne beratend zur Seite.

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Almut DiederichsenAlmut Diederichsen

Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht,
Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz,
Rechtsanwältin, Partnerin

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