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27.3.2020

Corona-Pandemie und Zivilprozess: Geltendmachung eigener Ansprüche in Zeiten des Coronavirus

Die immer weiter fortschreitende Ausbreitung des Coronavirus hat massive Auswirkungen auf das öffentliche Leben – weite Teile des privaten und wirtschaftlichen Lebens kommen zum Erliegen.

Auch vor dem Bereich Konfliktlösung und Zivilprozess macht die Corona-Pandemie keinen Halt und stellt Unternehmen, Anwälte und Gerichte vor enorme Herausforderungen.

Wir zeigen, welche Schwierigkeiten die Corona-Pandemie im Vorfeld sowie im Rahmen laufender Zivilverfahren bereiten kann und wie diesen Schwierigkeiten vorausschauend vorgebeugt werden kann.

Die Bundesregierung ist sich der beträchtlichen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie bewusst und hat in den letzten Tagen zahlreiche Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, welche die Folgen der aktuellen Krise für Bürger und Unternehmen soweit wie möglich begrenzen sollen. Zu diesen Maßnahmen haben wir Sie bereits in einem eigenen Blogbeitrag informiert. Auch immer mehr deutsche Gerichte verlegen mündliche Verhandlungen und schließen ihre Pforten für den Publikumsverkehr.

Doch wie wirkt sich die Corona-Pandemie abseits dieser Maßnahmen auf die Zivilrechtspflege aus und was dürfen Mandanten auch in diesen turbulenten Zeiten auf keinen Fall aus den Augen verlieren?

Überblick: Was müssen Unternehmen trotz Corona-Krise beachten

Soviel vorweg: Trotz den derzeitigen massiven Beschränkungen des öffentlichen Lebens laufen zivilrechtliche Anspruchsfristen ebenso wie gerichtliche Verfahren und dort gesetzte Fristen grundsätzlich weiter. Daher ist in den aktuellen Zeiten Folgendes zu beachten:

  • Unternehmen sollten fortlaufend prüfen, ob die Verjährung eigener Ansprüche aufgrund höherer Gewalt gehemmt sein könnte oder ob trotz Corona-Pandemie eine Verjährung droht und daher die Einleitung außergerichtlicher oder gerichtlicher Maßnahmen erforderlich ist.
  • Auch bereits eingeleitete Klageverfahren laufen grundsätzlich weiter und erfordern zurzeit besondere Aufmerksamkeit. So ist zu prüfen, ob gerichtliche Fristen eingehalten und anberaumte mündliche Verhandlungen wahrgenommen werden können. Beides kann in Zeiten von betrieblich angeordnetem Home-Office, Ausgangssperren und staatlichen Quarantäneanordnungen nicht immer sichergestellt werden. In solchen Fällen sind Maßnahmen zu ergreifen, um insbesondere gerichtliche Fristen zu verlängern und Verhandlungstermine zu verlegen.
  • Auch gibt es Umstände, welche die gerichtliche Durchsetzung eigener Ansprüche trotz oder gerade wegen der aktuellen Krise dringend erforderlich machen. Für solche Fälle ist sicherzustellen, das der Betrieb laufender Verfahren – unter Minimierung gesundheitlicher Risiken –  gewährleistet ist.

Bei diesen Herausforderungen begleiten und unterstützen wir Sie gerne und stehen Ihnen auch in der aktuellen Krisenzeit mit unserer Expertise zur Verfügung.

Ergänzend zu den o.g. Punkten haben wir Ihnen in dem folgenden Beitrag die wichtigsten Fragen und mögliche Antworten rund um das Thema Geltendmachung eigener Ansprüche trotz Coronavirus zusammengestellt.

 

Der Lauf von Verjährungs-, Ausschluss- und Klagefristen während der Corona-Pandemie

Trotz der bisherigen Ausbreitung des Coronavirus schaffen es die meisten Unternehmen derzeit noch, ihren Geschäftsbetrieb weitgehend aufrecht zu erhalten. Gelingt dies jedoch nicht mehr, stellt sich die Frage, wie sich dieser Umstand auf bereits laufende Verjährungs- und Ausschlussfristen auswirkt.

Ist ein Anspruchsinhaber aufgrund von Störungen in seinem Geschäftsbetrieb nicht mehr in der Lage, eigene Ansprüche gerichtlich oder außergerichtlich geltend zu machen, kommt unter Umständen eine Hemmung von Verjährungsfristen in Betracht. So sieht das Gesetz in § 206 BGB eine Hemmung der Verjährung für zivilrechtliche Ansprüche wegen höherer Gewalt vor. Von höherer Gewalt ist auszugehen, wenn Umstände vorliegen, die die Besorgung eigener Angelegenheiten unmöglich machen und die auch mit äußerster zu erwartender Sorgfalt nicht hätten vorhergesehen und abgewendet werden können. Dies wäre denkbar, wenn der eigene Geschäftsbetrieb aufgrund des Coronavirus und trotz entsprechender Vorsichts- und Verhütungsmaßnahmen ohne Verschuldendes Anspruchsinhabers gänzlich zum Erliegen kommt.

Eine Hemmung nach § 206 BGB tritt auch dann ein, wenn es zu einem Stillstand der Rechtspflege kommt. Ein solcher Stillstand liegt jedoch erst vor, wenn alle für die betreffende Klage zuständigen Gerichte ihre Tätigkeit eingestellt haben. Eine vollständige Einstellung der Geschäftstätigkeit liegt also nicht schon dann vor, wenn – wie aktuell vielfach zu beobachten – der Sitzungsbetrieb bei einzelnen Gerichten eingestellt oder Gerichtsgebäude für den Publikumsverkehr geschlossen werden. All diese zurzeit anzutreffenden Maßnahmen führen ebenso wie die damit einhergehende verzögerte Bearbeitung und Zustellung von Klagen lediglich zu einer Verlangsamung der Rechtspflege, nicht zu ihrem Stillstand. Auf eine Verjährungshemmung wegen Stillstands der Rechtspflege kann sich ein Anspruchsinhaber daher derzeit nicht berufen.

Im Hinblick auf die aufgezeigten hohen Hürden einer Fristenhemmung nach § 206 BGB sind Unternehmen gut beraten, anderweitige Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, um eine Situation zu vermeiden, in der sie eigene Ansprüche nur noch unter Berufung auf § 206 BGB vor einer Verjährung „retten“ können.

Stattdessen sollten bereits jetzt Schritte eingeleitet werden, um demnächst ablaufende Verjährungsfristen zu verlängern oder in ihrem Ablauf zu hemmen. Denkbar ist insbesondere der Abschluss von Vereinbarungen zur Verlängerung von Verjährungsfristen mit dem jeweiligen Schuldner oder die Einleitung von verjährungshemmenden Rechtsverfolgungsmaßnahmen, wie etwa der Einleitung eines Mahn- oder Gerichtsverfahrens.

Doch auch wenn sich die Corona-Pandemie nochmals verschärft und es zu weiteren – noch einschneidenderen - Maßnahmen für Unternehmen und Gerichte kommen sollte, gilt zu beachten, dass die Verjährungshemmung des § 206 BGB nicht für sämtliche Arten von Ansprüchen gilt. Dies betrifft etwa die Frist zur Mängelrüge nach § 377 Abs. 1 HGB oder die Frist zur Beschlussanfechtung nach § 246 Abs. 1 AktG. Daher sollte im Einzelfall genau geprüft werden, ob die Auswirkungen des Coronavirus zur Hemmung einer Frist führen oder nicht.

Unternehmen sollten somit auch in der aktuellen Krisensituation Schritte einleiten, um die Wahrung anwendbarer Fristen sicherzustellen.

 

Der Umgang mit bereits laufenden (Gerichts-) Verfahren

Die aktuellen Entwicklungen rund um das Corona-Virus werfen auch die Frage auf, wie mit bereits laufenden Gerichtsverfahren umzugehen ist.

Die Bundesregierung hat zurzeit noch keine Maßnahmen ergriffen, die eine allgemeine Unterbrechung von Zivilverfahren vorsehen. So ist, anders als in Strafsachen, derzeit keine gesetzliche Anordnung zur Unterbrechung von Zivilverfahren vorgesehen.

Die Zivilprozessordnung enthält jedoch mit § 245 ZPO eine Regelung zum „Stillstand der Rechtspflege“. Ein solcher Stillstand der Rechtspflege liegt vor, wenn die Tätigkeit des Gerichts vollständig zum Erliegen kommt. Ein solcher Stillstand kann auch durch Epidemien ausgelöst werden. Folge ist die Unterbrechung eines bereits eingeleiteten Verfahrens. Mit der Unterbrechung hört der Lauf einer jeden Frist auf. Die Frist beginnt erst nach Beendigung der Unterbrechung von neuem zu laufen (§ 249 Abs. 1 ZPO). Der Stillstand kann zunächst einzelne Gerichte betreffen, wie dies in der Vergangenheit schon bei Hochwasserkatastrophen oder anderen Naturkatastrophen der Fall war. Ein Stillstand der gesamten deutschen Rechtspflege trat in Deutschland zuletzt im Jahr 1945 ein, als in der Endphase des 2. Weltkriegs sämtliche Gerichte ihre Geschäftstätigkeit vorerst einstellten.

Die Corona-Pandemie hat bundesweit jedoch (derzeit) noch keinen Stillstand der Rechtspflege herbeigeführt. Gerichte bearbeiten eingereichte Klagen trotz der geltenden Einschränkungen – wenn auch verlangsamt – weiter.

Damit drängen sich für laufende Zivilprozesse zwei Fragen auf: Zum einen stellt sich die Frage des Umgangs mit nahenden Fristen - zum anderen die Frage wie mit nahenden Verhandlungsterminen umzugehen ist und die weitere Verfahrensführung unter Berücksichtigung der aktuellen gesundheitlichen Gefahren sichergestellt werden kann.

 

Gerichtliche Fristen in Zeiten der Corona-Pandemie

Zeichnet sich bei einem Verfahrensbeteiligten ab, dass dieser aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus prozessuale Fristen nicht einhalten kann, kommt die Verlängerung der entsprechenden Fristen in Betracht.

Für die Verlängerung von gerichtlichen Fristen müssen erhebliche Gründe glaubhaft gemacht werden. Erkrankungen, personelle und organisatorische Engpässe, erschwerte Kommunikationsmöglichkeiten (bei Prozessbevollmächtigtem oder der zur Informationsbeschaffung unverzichtbaren Partei) können bei der Anwendung der gesetzlichen Fristenregelungen für eine Verlängerung ausreichen. Derzeit ist zu beobachten, dass Gerichte eingereichten Verlängerungsanträgen großzügig stattgeben.

Bei Notfristen, etwa der Verteidigungsanzeige eines Beklagten nach § 276 Abs. 1 S. 2 ZPO, scheidet eine Verlängerung durch das Gericht jedoch aus. Im Fall der Versäumung einer solchen Notfrist kommt allein eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO in Betracht. Voraussetzung einer solchen Wiedereinsetzung ist, dass die Fristversäumnis nicht auf ein Verschulden der jeweiligen Partei zurückzuführen ist. In der aktuellen Situation kann es insbesondere im Fall der Quarantäne einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten an einem solchen Verschulden fehlen. Denkbar ist dies auch angesichts der aktuellen Handlungsbeschränkungen, die mit massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der sozialen Kontakte einhergehen. Ob eine Fristversäumung aufgrund der Auswirkungen des Coronavirus als schuldlos gilt, ist in jedem Einzelfall jedoch gesondert zu prüfen.

 

Verhandlungsführung in Krisenzeiten

Das Coronavirus hat dazu geführt, dass viele Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Home-Office schicken und Besprechungen – soweit möglich – per Videokonferenz abhalten. Wie sollte man sich jedoch verhalten, wenn in Kürze eine gerichtliche Verhandlung ansteht?

Im Hinblick auf bevorstehende gerichtliche Verhandlungstermine kommt zunächst ein Vertagungsantrag nach § 227 ZPO in Betracht. Dafür bedarf es – wie bei Fristverlängerungsanträgen – erheblicher Gründe. Solche dürften in der aktuellen Krise regelmäßig zu bejahen sein, da die Wahrnehmung des Termins andernfalls Reisen und soziale Kontakte provozierten würde.

Sollte sich die Corona-Epidemie noch weiter zuspitzen und daher die Einhaltung von Fristen und Terminen die Kläger-und Beklagtenseite gleichermaßen betreffen, kommt im Einzelfall auch ein Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach § 251 ZPO in Betracht. Das ruhend gestellte Verfahren könnte dann in ruhigeren Zeiten auf Veranlassung der Parteien wieder aufgenommen werden.

In besonders dringlichen Angelegenheiten (typischerweise in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes) kann indes die Durchführung des Termins trotz der damit einhergehenden gesundheitlichen Gefahren erforderlich sein. Die Zivilprozessordnung kennt für solche Fälle Instrumente der Verfahrensführung, deren Einsatz den Weiterbetrieb von Gerichtsverfahren unter Minimierung persönlichen Kontakts möglich macht.

  • Eine Möglichkeit zur Verfahrensgestaltung unter Berücksichtigung der aktuellen gesundheitlichen Gefahren ist der Übergang in ein schriftliches Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO. Das setzt die Zustimmung beider Parteien voraus.
  • Auch ohne Zustimmung der Parteien ist es möglich, auf eine fernmündliche Verhandlung im Wege einer Videokonferenz nach § 128 a Abs. 1 ZPO hinzuwirken. In diesem Fall werden die Parteien des Rechtsstreits mit ihren Anwälten über einen Internetstream zur Gerichtsverhandlung zugeschaltet werden und müssen nicht physisch im Gerichtssaal anwesend sein.
  • Unter Umständen erforderliche Beweisaufnahmen können mit Einverständnis der Parteien in einem sog. Freibeweisverfahren durchgeführt werden (§ 284 S. 2 ZPO). Hiernach können z.B. auch telefonische Zeugenvernehmungen erfolgen.
  • Weitere Möglichkeiten liegen in der Anordnung einer schriftlichen Zeugenvernehmung (§ 377 Abs. 3 ZPO) oder eines schriftlichen Sachverständigengutachtens (§ 411 ZPO).
  • Besteht in einem Klageverfahren die Möglichkeit einer gütlichen Einigung zwischen den Parteien, kommt auch die Beilegung des Rechtsstreits durch schriftlichen Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO in Betracht.

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Christian v. der Lühe, M.B.L.-HSGChristian v. der Lühe, M.B.L.-HSG

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