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Neuigkeit –
11.9.2025
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 07.11.2024 – 17 Sa 2/24
Wie modern darf eine Stellenanzeige sein? Und wo kippt ein hipper Sprachgebrauch in eine unzulässige Diskriminierung? Mit dieser Frage hatte sich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Ende 2024 zu befassen – mit einem Ergebnis, das für Personalverantwortliche ebenso lehrreich ist, wie für Bewerberinnen und Bewerber: Der Begriff „Digital Native“ in einer Stellenanzeige kann eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) darstellen. So urteilte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg.
Der Fall: Das Gericht hatte sich mit der Frage der Altersdiskriminierung gebettet in einer Bewerbung auf eine Stelle in der Unternehmenskommunikation zu beschäftigen.
Beworben hatte sich ein 1972 geborener Diplom-Wirtschaftsjurist. Die Bewerbung erfolgte auf die ausgeschriebene Position als „Manager Corporate Communications“ bei einem Sportartikelunternehmen. In der Stellenausschreibung hieß es unter anderem:
„Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der datengetriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause.“
Zudem war von einem „dynamischen Team“ und dem Wunsch nach einem „Teambuddy“ die Rede. Der Bewerber erhielt eine Absage – und klagte auf Entschädigung wegen Altersdiskriminierung.
Das rechtliche Problem, mit dem sich das Gericht auseinanderzusetzen hatte, war die Frage, ob es sich bei dem Begriff „Digital Native“ um einen solchen mit Altersbezug handelt.
Das LAG hatte zu prüfen, ob der Begriff „Digital Native“ eine Formulierung darstellt, die einen Rückschluss auf das Lebensalter zulässt – und damit Personen über einer bestimmten Altersgrenze von vornherein benachteiligt.
Diese Fragestellung hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg im Ergebnis bejaht.
Der Begriff „Digital Native“ stamme ursprünglich aus der Forschung des US-amerikanischen Medienpädagogen Marc Prensky. Gemeint sind damit Menschen, die mit digitalen Technologien wie Computern, dem Internet und Smartphones aufgewachsen sind – im Gegensatz zu den sogenannten „Digital Immigrants“, die diese Technologien erst später kennengelernt haben.
Für das LAG war klar: Wer den Begriff „Digital Native“ verwendet, spricht damit typischerweise jüngere Generationen an – konkret Jahrgänge ab etwa 1980. Ein 1972 geborener Bewerber könne daher objektiv nicht als „Digital Native“ gelten.
Aus unserer Erfahrung in der Beratungspraxis ist bekannt, dass viele Arbeitgeber solche Begriffe eher als ‚zeitgemäß‘ und unverfänglich empfinden – rechtlich gesehen kann dies jedoch zu erheblichen Problemen führen, was die obige Entscheidung deutlich zeigt.
Das zentrale Gesetz, wenn es um Stellenausschreibungen und Benachteiligungen geht, ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Es schützt vor Diskriminierungen, die an eines der in § 1 AGG genannten Merkmale anknüpfen – darunter etwa Geschlecht, ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung sowie auch das Alter und bietet benachteiligten Personen Entschädigungs- oder Schadensansprüchen (§ 15 AGG). Für Stellenausschreibungen gilt nach § 11 AGG in Verbindung mit § 7 AGG, dass diese diskriminierungsfrei gestaltet sein müssen. Ein Verstoß dagegen begründet ein Indiz für eine Benachteiligung im Sinne von § 22 AGG, was eine Beweislastumkehr aufgrund einer gesetzlichen Vermutung zur Folge hat. Dann ist es Sache des Arbeitgebers darzulegen, dass trotz des Anscheins keine Diskriminierung vorlag – was in der Praxis häufig nur schwer gelingt.
So konnte auch die Arbeitgeberin im vorliegenden Fall die Vermutung des § 22 AGG nicht entkräften. Sie argumentierte mit Überqualifikation, Gehaltsvorstellungen (90.000 €) und fehlender Sportaffinität des Klägers – das Gericht wies dies jedoch mit der Begründung zurück, dass der Kläger die Anforderungen der Stelle zweifelsfrei erfüllte, eine höhere Qualifikation kein Ausschlusskriterium sei und die Gehaltsvorstellung des Klägers aufgrund fehlender Gehaltsangabe in der Ausschreibung und aufgrund allgemeiner Branchenwerte nicht als überzogen anzusehen sei.
Die Beweislastumkehr nach § 22 AGG stellt ein zentrales Instrument des Diskriminierungsschutzes dar: Sie entlastet die benachteiligte Person davon, eine Diskriminierung vollständig nachweisen zu müssen, und verpflichtet stattdessen den Arbeitgeber, die gesetzlich vermutete Diskriminierung zu widerlegen. In der Praxis erweist sich dies jedoch häufig als schwierig. Wie der vorliegende Fall zeigt, reicht ein bloßer Verweis auf subjektive Einschätzungen wie „Überqualifikation“ oder „mangelnde Affinität“ regelmäßig nicht aus, um die Vermutung zu entkräften – insbesondere dann nicht, wenn die formalen Anforderungen objektiv erfüllt sind. Die Beweislastumkehr erhöht somit die rechtliche Verantwortung der Arbeitgeber, ihre Auswahlentscheidungen diskriminierungsfrei und nachvollziehbar zu begründen.
Auch interessant und in der Praxis durchaus häufig anzutreffen, war der Vorwurf der Beklagten, dass der Kläger sich nur „pro forma“ beworben habe, um eine Entschädigung zu erzwingen – das Gerichtverneinte auch diesen Vorwurf. Zwar könne ein solcher Rechtsmissbrauch im AGG-Prozess relevant sein (§ 242 BGB), doch die Indizien reichten hier nicht aus.
Der Bewerber hatte einen realistischen Bezug zur Region (familiäre Bindungen in Süddeutschland), er war zum Bewerbungszeitpunkt in einer vergleichbaren Position tätig und die Bewerbung war formal korrekt und nachvollziehbar.
Im Ergebnis sprach das Gericht dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 7.500 € zu, was 1,5 Bruttomonatsgehältern der ausgeschriebenen Stelle entsprach. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Außerdem vermittelte das Gericht damit eine klare Botschaft:
„Digital Native“ ist kein neutrales Schlagwort
Auch moderne und trendige Begriffe in Stellenanzeigen können Diskriminierungstatbestände erfüllen. Arbeitgeber müssen sich bewusst machen, dass Begriffe wie „junges Team“, „dynamisch“ oder eben „Digital Native“ nicht neutral verstanden werden, sondern regelmäßig mit Altersstereotypen verbunden sind.
Es ist daher ausdrücklich zu empfehlen, dass Arbeitgeber Stellenausschreibungen sorgfältig juristisch prüfen lassen sollen – gerade bei Formulierungen, die vordergründig harmlos wirken. Die Risiken für AGG-Verstöße sind hoch, der Imageschaden ebenso.
Außerdem gibt die Entscheidung auch nochmals Anlass, darauf hinzuweisen, dass die Dokumentation und Begründung von Auswahlentscheidungen von großer Bedeutung sind. Gerade bei Absagen ohne Gespräche ist es sehr schwer, den Diskriminierungsvorwurf und etwaig eintretende Vermutungen zu entkräften. Aus diesem Grund sollten die Auswahlentscheidungen ins Detail protokolliert werden, um sich hier die Möglichkeit des Nachweises der objektiven Begründung der Ablehnung nicht vollständig zu nehmen.
Auch zeigt das Urteil, dass der Missbrauchseinwand durch den Arbeitgeber in der AGG-Rechtsprechung durchaus Bedeutung hat – er setzt jedoch klare objektive und subjektive Anhaltspunkte voraus. Arbeitgeber sollten sich deshalb davor hüten, vorschnell von einem ‚AGG-Hopper‘ auszugehen. Zwar können Umstände wie eine völlig unrealistische Vergütungsvorstellung grundsätzlich berechtigte Zweifel an der Ernsthaftigkeit einer Bewerbung begründen (vgl. LAG Berlin, Urteil vom 30.03.2006 – 10 Sa 2395/05), doch zeigt der vorliegende Fall, dass stets eine sorgfältige Einzelfallprüfung geboten ist. Fehlt es – wie hier – bereits an einer konkreten Angabe zum Gehaltsrahmen, kann allein daraus nicht auf eine bewusst überhöhte Gehaltsforderung geschlossen werden, die lediglich darauf abzielt, eine Absage zu provozieren und damit Zweifel an der Ernsthaftigkeit zu begründen.
Im Ergebnis mithin ein heikles Thema, welches ein großes Maß an juristischem Feingefühl benötigt, damit aus Innovationsfreude keine Diskriminierungsvorwürfe entstehen können.